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Inhaltsverzeichnis:
1. (0000)
2. Auf Beutejagd (2002)
3. Die Stereo-Verseuchung (2002)
4. Der Ohrenmensch (2003)
5. Herbe Litschi-Kanten (2003)
6. Ministeriale Hör-Arbeit (2003)
7. Schöner hören (2003)
8. Das sentimentalische Hören (2004)
9. Das kannibalische Hören (2004)
10. Das Unter-Wasser-Hören (2004)
11. Das therapeutische Hören (2004)
12. Embryo-Träume (2005)
13. Mars macht mobil (2005)
14. Herr Schall (2005)
15. Hören darf nicht stören (2005)
16. Avantgarde entdecken (2006)
17. Die Grammatik des Buchhörens (2006)
18. Schlafen mit Musik (2007)

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Vom Hören (6)

Am Anfang war da nur eine Zeitschrift, die hieß "Schöner Wohnen". Klar: schönere Möbel, schönere Räume, schönere Tapeten. Dummerweise haben die ihren Namen nicht geschützt. Heute werben Einrichtungshäuser und Kunsthandwerker überall mit "schöner wohnen": "Alles rund ums schöner Wohnen. Schöner Wohnen beginnt mit Farbe. Ihr Weg zum schöner Wohnen." Dass das grammatikalisch irgendwie nicht hinhaut, stört längst keinen mehr. Inzwischen locken Akademien mit "Schöner denken". Nachhilfe-Institute bieten "Schöner lernen". Autohersteller glauben an "Schöner fahren". Beerdigungsunternehmer (oder waren es Krankenhäuser?) versprechen "Schöner sterben". Wen wundert es da, wenn er liest:

Schöner hören

Wie geht das eigentlich, schöner hören? Nicht besser, nicht genauer, nur schöner? Man kann ja auf vielerlei Art hören: aufmerksam oder achtlos, strukturell oder emotional, in Mono oder Multikanal, mit Partitur in der Hand oder Zigarillo zwischen den Lippen. Aber wie hört man schön – oder gar schöner? Ist schöneres Hören ein Hören auf einem schöneren Sofa? Mit schöneren Boxen? Einem schöneren Lächeln auf dem Gesicht? Braucht man für schöneres Hören auch schönere CD-Covers? Eine schönere Beleuchtung? Ein schöneres Hifi-Möbel? Schon das Wort "schön" könnte einen ganz nervös machen, denn das Nur-Schöne ist ja meist sterbenslangweilig. Adagio-Träumerei. Harmonische Redundanz. Wohlfühlklänge. Vielleicht ist "schön hören" mit "schönreden" verwandt. Achtung: Die rosa Hörbrille.

Ich habe nachgeforscht. Ein so genannter Media Service in Verbindung mit einem großen Nachrichtenmagazin definiert "schöner hören" als "schöne Musik entdecken". Darunter verstehen sie: Hymnen mit Ohrwurmcharakter, Sehnsucht nach der Weite, wunderbaren Harmoniegesang, grandiose Klanglandschaften, sanfte, relaxte Intros, großes Kino, ein starkes Gefühl an Intimität, Blues-Lounge, blablabla. Ist Musik der Kurzurlaub für arme Manager-Seelen? Wenn ich das schon lese: "Großes Kino": Wahrscheinlich "Titanic" im 5-Kanal-Ton. "Gefühl an Intimität": Klingt wie Krötensteak an virtueller Soße. "Blues-Lounge": Oh Lord, I got some dirt on my sofa...

Aber das ist nicht alles. Unterm Stichwort "schöner hören" fährt das Internet ein ganzes Waffenarsenal auf. Ein Elektronik-Konzern bewirbt sein neues, schlankes Hörgerät, abgestimmt auf leichte bis mittlere Hörverluste. Ein Hörbuchverlag bietet exquisite existenzielle Katastrophen, gelesen von sonoren Schauspielerstimmen. Akustiker-Teams offerieren die Anpassung und Programmierung von Hörsystemen, mal als Implantat, mal als Wohnzimmerausgestaltung. Ein deutsches Jazzlabel veröffentlicht das nabelfreie CD-Debüt einer Sängerin mit norddeutschem Soul und schillernder Persönlichkeit. Das Quartett Luxuskörper verspricht eine "Wellnessmischung aus melodiösem Wohnzimmerpop und Fahrstuhlfunk", besonders schonend für "die gestresste Hirnmasse". Glaub ich sofort.

Meine Frau begleitete mich kürzlich in ein Rockkonzert. Ich sagte noch: Keine Abendgarderobe, kein Friseurbesuch, keine Perlen! Einfach Jeans und Pulli. Sie meinte: Ich will aber schöner hören!

© 2003, 2008 Hans-Jürgen Schaal

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