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Vom Hören (5)
Diese Internet-Kolumne war kaum in der Welt, schon hatte sie namhafte Fans gewonnen. Einer von ihnen ist Frau Dr. Christina Weiss, damals Staatsministerin für Kultur und Medien. Bei der Jubiläums-Matinee zum 50-jährigen Bestehen des Preises der deutschen Schallplattenkritik hat sie es sich nicht nehmen lassen, öffentlich über das Hören zu sprechen. Ihre größte Sorge gilt dabei der Frage, was Mozart wohl sagen würde, wenn er hörte, wie seine Musik heute gespielt wird. "Wäre er entsetzt? Verwundert? Begeistert? Wir vermögen es nicht zu sagen." Da muss ich allerdings widersprechen: Ich vermag es. Wolferl würde kreischen: "Ich will auch so ein tolles Schlagzeug!"
Ministeriale Hör-Arbeit
Unserer Frau Ministerin ist aufgefallen, dass die Umwelt unser Hören prägt. Ins Musikhören heute, sagt sie, seien "kulturelle Erneuerungen wie Autobahnen oder Flughäfen" mit eingeschlossen. Erstaunlich, was eine Kulturministerin unter "kulturellen Erneuerungen" versteht. Jedenfalls zieht sie persönlich eher schalldichte Fenster vor, denn Frau Ministerin – oder ihr Redenschreiber – tut alles, um den Lärm des 21. Jahrhunderts aus ihrem Hören auszuschließen. Ihre wahre Liebe gehört solchen Pre-Noise-Komponisten wie Di Lasso, Palestrina, Schütz, Schein, Scheidt, Ahle, Marpurg und Sorge. Das ist 18., wo nicht 17. Jahrhundert. Eine perfekte Vorbereitung auf die kulturpolitischen Herausforderungen der Gegenwart. Ob sie wohl auch Lohenstein, Gottsched, Brockes und Herder zu ihren Lieblingsautoren rechnet? Wäre eigentlich nur konsequent.
Aus der ministerialen Rede habe ich eine Menge gelernt. Zum Beispiel, dass die Schallplatte der ewige (!) Inhalt (!) der tönend bewegten Form sei. Höchst raffinierte Anspielung auf Hanslick! Aber man muss sich das mal vorstellen: Seit Jahrhunderten fragt sich die Menschheit, wovon Musik eigentlich spricht, und hier erfahren wir es ganz nebenbei: Der Inhalt der musikalischen Form ist DIE SCHALLPLATTE. Vor den Zeiten der Schallplatte: kein Inhalt! Und weiter: "Entscheidend allein ist die künstlerische Qualität, der Repertoirewert." Heißt das: Künstlerische Qualität ist gleich Repertoirewert? Und bedeutet Repertoirewert, dass die Partitur was taugt, egal wie schlecht sie gespielt ist? Oder dass sie als Konzert-Repertoire zu empfehlen ist – gleich neben den berühmten Motetten von Palestrina und Schütz? Mit "Repertoirewert", diesem Popanzbegriff bemühter Klassik-Rezensenten, konnte ich leider nie was anfangen. Auch für Frau Ministerin ist Musikkritik oft eine ziemlich unheimliche Begegnung: "Das Qualitative trifft auf das Quantitative." Fragt sich nur, wer bei dieser Partie Heimrecht hat und wie das Spiel ausgeht. Ministerialer O-Ton: "Das Ergebnis quittiert eine Spannweite künstlerischer Erfahrungen." Hübsch. Dann heißen Rezensionen wohl bald Erfahrungsquittungen? Wär doch mal originell.
Vor zwei Dingen warnt Frau Ministerin besonders: erstens vor der Geschäftemacherei, zweitens vor der gefährlichen Kuschelklassik. Daraus schließe ich erstens: Das Medien-Ministerium will die Künstler ab sofort direkt unterstützen, damit da keine Geschäfte mehr gemacht werden müssen. Zweitens: Kinder sollen künftig bei Rockmusik gezeugt werden, das ist sicherer. Denn ein Schlagzeug braucht’s schon, nicht wahr, Wolferl?
© 2003, 2008 Hans-Jürgen Schaal
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