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Inhaltsverzeichnis:
1. (0000)
2. Auf Beutejagd (2002)
3. Die Stereo-Verseuchung (2002)
4. Der Ohrenmensch (2003)
5. Herbe Litschi-Kanten (2003)
6. Ministeriale Hör-Arbeit (2003)
7. Schöner hören (2003)
8. Das sentimentalische Hören (2004)
9. Das kannibalische Hören (2004)
10. Das Unter-Wasser-Hören (2004)
11. Das therapeutische Hören (2004)
12. Embryo-Träume (2005)
13. Mars macht mobil (2005)
14. Herr Schall (2005)
15. Hören darf nicht stören (2005)
16. Avantgarde entdecken (2006)
17. Die Grammatik des Buchhörens (2006)
18. Schlafen mit Musik (2007)

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Vom Hören (12)

Weihnachten bei Hoppenstedts: Opas klassischer Hau-druff-und-hau-rein-Marsch gipfelt in Dickis explodierendem Miniatur-Atomkraftwerk. Eigentlich konsequent. Auch wenn die selbst ernannten Pädagogen der Nation gerne die erzieherische, erhebende, humanistische Wirkung von klassischer Musik betonen: Hinter der Klassik lauert die pure kriegerische Brutalität. Nicht umsonst haben Karikaturisten einen Wagner, Berlioz oder Mahler häufig mit Armeen und Kanonen assoziiert. Nicht umsonst wird der Helikopter-Angriff in Coppolas Vietnam-Film „Apocalypse Now“ vom Walkürenritt begleitet. Nicht umsonst sind die Gewaltorgien in Kubricks „Clockwork Orange“ mit Musik des großen Ludwig Van unterlegt. Und das bekannteste Stück aus Holsts „Planeten“ ist und bleibt der donnernde, kriegerische „Mars“ – trotz des irritierenden Fünfviertel-Takts.

Mars macht mobil

Gerade die Hits der Klassik – die berühmtesten Kopfmotive – appellieren gerne ans Rabiate, Motorische und Martialische. Man denke an die Anfänge von Bachs Toccata in d-moll, Beethovens Fünfter, Bizets „L’Arlésienne“. Aber was soll man anderes erwarten von der offiziellen Kultur eines Kontinents, der sich seit Jahrtausenden in Angriffskriegen und Völkerschlachten übt. Der historische Ursprung der Sinfonie-Orchester waren Militärkapellen, die aufspielten, damit die Soldaten mit mehr Freude an ihr mörderisches Werk gingen. Attacca con forza! Gleichfalls zu frischen Taten befeuert strömen die Konzertabonnenten aus der Philharmonie, aufgeladen mit der Energie ihrer Fortissimo-Lieblingsstellen. Erobert neue Märkte mit Rimski-Korsakows „Sturmmusik“! Vigoroso, pomposo, furioso!

Die markigen Stellen der Klassik sind auch die heimlichen Väter aller Rock-Riffs. Bei den Bombast-Rockern Emerson Lake & Palmer haben Bartóks „Allegro barbaro“, die „Toccata“ aus Ginasteras erstem Klavierkonzert, der Tanz der Ritter aus Prokofieffs „Romeo & Julia“ oder Mussorgskys „Gnom“ und „Hütte der Baba-Yaga“ ihr wahres Selbst gefunden. Ob Griegs Bergkönig, Ravels Bolero, Saint-Saëns’ Toten-, de Fallas Feuer- oder Khatchaturians Säbeltanz: Die populären Klassikfetzer begeistern das Rock-Publikum ganz genauso. Umgekehrt gelingt es dem London Symphony Orchestra, Rock-Hymnen von Led Zeppelin oder den Stones wie Tschaikowsky oder Grieg klingen zu lassen. Und wer könnte sich nicht „Smoke on the Water“ als Kopfthema einer Beethoven-Sinfonie in g-moll vorstellen?

Speziell die todesnahe Heavy-Metal-Szene ist ein echter Ableger von Wagnertuben, Kesselpauken und kriegerischen Klassik-Kanonen. Die deutsche Band Mekong Delta rockte einst quer durch düsteres Klassik-Gelände, Beethoven lieferte schon mal das Sujet für ein Metal-Musical, und das Quartett Apocalyptica erzeugt Metal-Klänge auf klassischen Violoncelli. Doch im Vergleich zu Beethoven, Tschaikowsky, Rimski-Korsakow oder Liszt, die wirkliche Schlachtenmusiken schrieben, sind Metal-Buben harmlose Pazifisten, die nur einer vom Bösen regierten Welt den Spiegel vorhalten. Black Sabbath, die Ur-Formation des Heavy Metal, von Berufsmoralisten als Teufelsanbeter verunglimpft, sangen regelmäßig von Liebe, Frieden und Glück und sahen Satan immer auf der Seite der Kriegstreiber, Umweltverschmutzer und Gehirnwäscher. Beethoven hat in „Wellingtons Sieg“ kein Bedauern darüber geäußert, dass es Kriege gibt.

© 2005 Hans-Jürgen Schaal

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