NEWS





Inhaltsverzeichnis:
1. (0000)
2. Auf Beutejagd (2002)
3. Die Stereo-Verseuchung (2002)
4. Der Ohrenmensch (2003)
5. Herbe Litschi-Kanten (2003)
6. Ministeriale Hör-Arbeit (2003)
7. Schöner hören (2003)
8. Das sentimentalische Hören (2004)
9. Das kannibalische Hören (2004)
10. Das Unter-Wasser-Hören (2004)
11. Das therapeutische Hören (2004)
12. Embryo-Träume (2005)
13. Mars macht mobil (2005)
14. Herr Schall (2005)
15. Hören darf nicht stören (2005)
16. Avantgarde entdecken (2006)
17. Die Grammatik des Buchhörens (2006)
18. Schlafen mit Musik (2007)

Spezial
Nur auf hjs-jazz.de!

Vom Hören (2)

Seit Jahren halten sich Prominente ein Auge zu und rufen uns von den Plakatwänden entgegen, man könne mit dem zweiten Auge besser sehen. Haben Sie’s mal ausprobiert? Na ja, vielleicht nicht besser, aber anders. Möglicherweise sieht man das Rot- und Grünspektrum etwas unterschiedlich, je nachdem, ob man mit links oder rechts guckt. Beim Riechen ist das ja ähnlich: Da sorgt eine wandernde Schwellung im Nasenflügel für zwei verschiedene Geruchs-Informationen: eine Art Stereo-Duft, den die Mischbatterie unseres Gehirns irgendwie zusammenrührt. Und warum sollte es beim Hören anders sein?

Die Stereo-Verseuchung

Im Anfang war ein Knistern und Rauschen und Fiepen - und alle Welt erkannte darin eine Schubert-Sonate, göttlich interpretiert. Wie viel Hörübung und Ohrenakrobatik gehörte dazu, den frühen Grammophon-Walzen etwas derart Erfreuliches abzugewinnen! Dazu sind wir Jetzigen nicht mehr in der Lage. Für uns hat man die einzelnen Instrumente im Super-Digital-Audio-No-Noise-High-Sonic-Solution-Verfahren Kanal um Kanal an der Stereo-Wäscheleine aufgehängt und da tropfen sie nun brav nebeneinander gereiht von links außen bis ganz nach rechts. Perfekte Hörgangversorgung auf Fernbedienungs-Knopfdruck. Kulinarisches ist angesagt. Wellness statt Fitness.

Verschiedene Insektenarten hören mit Fühlern, Brust oder Hinterleib. Wir Menschen versuchen es traditionell mit den Ohren - und davon haben wir meistens zwei. Hat jemals jemand erforscht, was das für unsere Menschwerdung bedeutet? Hören wir rechts analytisch, links emotional? Denken Sie nur ans frühe Ping-Pong-Stereo: Da gab es nur links und rechts und etwas in der Mitte. Psychedelik-Bands ließen gern die Solostimme zwischen den Kanälen hin- und herhuschen und brachten uns damit an den Rand der Ohnmacht. Bei den frühen Doors kam die Gitarre von rechts, die Orgel von links, der Rest stand Gewehr bei Fuß mittendrin. Aber wehe, man hatte die Boxen vertauscht oder kehrte ihnen den Rücken zu! Dann änderte die Musik vollkommen ihren Sinn und warf den jugendlichen Fan in existenzielle Sinnkrisen.

Denn unsere Art zu hören ist keineswegs angeboren. So wie das Gehirn lernen muss, optische Informationen zum Bild zusammenzusetzen oder ein Areal für die Sprachbeherrschung auszubilden, braucht auch das Hören Entwicklungshilfe und klare Prägungen. Meine Generation ist Stereo-verseucht. Darum ist ein Sechs-Kanal-Ton mit Seitenwand-Reflektion, Hinterkopf-Beschallung und generalisiertem „sweet spot“ für unsereins glatte Verschwendung. Im Gegenteil: Im Versuch, mich hörend fit zu halten, habe ich mich vor einiger Zeit ganz auf Monophonie umgestellt. Jetzt erst lassen sich Kenny G. und Charlie Parker richtig vergleichen. Wahrscheinlich sample ich mir noch ein sauber verschmutztes Basis-Knistern, vielleicht von einer House-DJ-Platte, das kann dann immer mitlaufen. Man muss sein Hören schließlich auf Trab halten, sonst rostet es ein. Musik kommt von Mühe. Musik muss weh tun.

Zurück zum Inhaltsverzeichnis


Bild

01.05.2024
Jazz-Rezensionen im Mai: MATHEI FLOREA, CHRISTIAN MARIEN, SUSANNE ALT, TON, CÉLINE VOCCIA, MORITZ STAHL, JOHN SURMAN, CHARLES LLOYD (alle: Jazzthetik), LUZIA VON WYL, LASSY-ESKOLA, I AM THREE, ROGER KINTOPF (alle: Fidelity)

10.04.2024
Neue Jazz-Rezensionen im April: QUINTET WEST, EMILE PARISIEN, JOHANNES BIGGE, SUN ARK, MARY HALVORSON, FRANK WINGOLD, SANDRO ROY (alle: Jazz thing bzw. jazzthing.de)

08.04.2024
Aktuelle Artikel über SHORTY ROGERS (Brawoo), KRAUTROCK (Neue Musikzeitung) und den KEMPTENER JAZZFRÜHLING (Brawoo)

30.03.2024
Neues zur Klassik: BEETHOVENs Opus 133, der Komponist ISANG YUN, Alben mit Werken von LOUIS WAYNE BALLARD und französischer Musik für ZWEI PIANOS sowie ein BACH-Roman von ANNA ENQUIST (alle: Fidelity 172)

mehr News

© '02-'24 hjs-jazz.de