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Der junge Louis Armstrong spielte es. Ebenso der Instrumentebauer Charles Gerard Conn. Und auch W.C. Handy, der „Vater des Blues“. Heute ist das Kornett – einst ein verbreitetes Virtuosen-Instrument – fast nur noch in Blasorchestern und Brassbands zu hören.

Das Kornett
Vom Signalhorn zur Jazzstimme
(2012)

Von Hans-Jürgen Schaal

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts begann man, die Blechblasinstrumente mit Ventilen auszustatten. Damit wurde es möglich, auf ihnen über ihren gesamten Tonumfang hinweg chromatisch zu spielen. Nicht nur Horn und Trompete, die zuvor schon dank Handstopftechnik und Klappenmechanik halbwegs „chromatisiert“ worden waren, wurden zunehmend mit Ventilen gebaut, sondern es entstand auch eine ganz neue Familie von Pumpventil-Instrumenten, die „Bügelhörner“. Zu ihnen gehören u.a. Flügelhorn, Tenorhorn, Basstuba, Helikon und das (erst um 1900 erfundene) Sousafon. Auch das Kornett, der „cornet à pistons“ (wörtlich: kleines Ventilhorn), verdankt seine Existenz der Entwicklung der Ventile. Seine ventillose Urform war das Posthorn bzw. das Signalhorn der französischen „Chasseurs“ (Jäger), also der leichten Infanterie des Heeres. Ein Monsieur Halary soll das Ventilkornett 1828 erstmals gebaut haben, sein Landsmann Besson entwickelte es 1837 weiter. Ein Jahr später erfand ein Monsieur Périnet das moderne Pumpventil („Périnet-Ventil“), wie es bis heute im Kornett verwendet wird.

Bewegliche Passagen

Interessanterweise war das Kornett in Frankreich lange Zeit populärer als die Ventiltrompete. Das Kornett ist handlicher, spricht leichter an und eignet sich daher auch für Anfänger. Wegen seiner konischen Röhre und seines flachen Mundstücks ist der Klang weicher und breiter als der der zylindrisch gebauten Trompete und mischt sich deshalb besser mit den Streichern. Rasch galt das Kornett als das ideale Virtuosen- und Solisten-Instrument. Der Musikforscher Alfred Berner schreibt: „Solange die Trompeten die traditionellen tiefen Stimmlagen beibehielten, trat für bewegliche Passagen in höherer Lage der ‚cornet à pistons’ an ihre Stelle – wie in der ‚Symphonie fantastique’ von Berlioz (1830), wo zwei Cornetti à pistons mit zwei Trompeten verbunden sind, die nur naturtönig verwendet werden.“ Auch Rossini, Gounod, Meyerbeer, Offenbach u.a. bauten das Kornett in ihre Opern- und Operetten-Partituren ein. In den zivilen und militärischen Blaskapellen übernahm es ohnehin die Führung. Berlioz sah das Kornett als die technisch-virtuose Spitze im Blechverband: „Es kann die Akkorde der Trompeten vervollständigen und in das Orchester diatonische oder chromatische Notengruppen werfen, welche infolge ihrer Raschheit weder für die Posaune noch für die Hörner geeignet wären.“

Der berühmteste Kornett-Virtuose des 19. Jahrhunderts war Jean-Baptiste Arban (1825 bis 1889). Der Franzose machte ausgedehnte Solisten-Reisen durch ganz Europa, galt als der „Paganini des Kornetts“ und wurde nicht müde, virtuose Glanzstückchen für seine Auftritte zu schreiben – am liebsten Fantasien über Opernmelodien und Bearbeitungen populärer Themen. Seine Variationen über den „Karneval von Venedig“ wurden berühmt. Speziell für Arban wurde 1869 am Pariser Konservatorium eine Kornett-Klasse eingerichtet, die er bis 1874 leitete. Auch zur Weiterentwicklung des Instruments trug er kräftig bei und präsentierte 1848 Adolphe Sax’ „Cornet Compensateur“, 1883 ein „Cornet Arban“ und 1885 das „Cornet Arban-Bouvet“. Sein großes Lehrwerk von 1864 („der Arban“) gilt bis heute als „Bibel der Trompeter“, obwohl es gar nicht für die Trompete geschrieben wurde. Sein Original-Titel lautet: „La grande méthode complète de cornet à piston et de saxhorn“.

Das vulgäre Instrument

Wie Arban verwendeten viele populäre Solisten in Frankreich das Kornett als Haupt- und die Trompete nur als Nebeninstrument. Das führte zu einer gewissen Inflation des Kornettspiels in der Salon- und Unterhaltungsmusik, die dem Ansehen des Instruments auf Dauer schaden musste. Berlioz führt aus: „Das Kornett ist heutzutage in Frankreich sehr gebräuchlich, namentlich in einer gewissen musikalischen Sphäre, wo Erhabenheit und Reinheit des Stils nicht als wesentliche Eigenschaften gelten. Es ist zum unentbehrlichen Soloinstrument bei Kontretänzen, Galoppaden, Variationen und anderen Kompositionen zweiten Ranges geworden.“ Schon 1844 empfand Berlioz den Klang des Kornetts daher als „schreiend, prahlerisch, unfein“. Er warnte vor der Gefahr, dass schöne, heitere Melodien auf dem Kornett trivial und platt klingen könnten, weil dem Instrument sowohl der „Adel der Horntöne“ wie auch der „Stolz der Trompetentöne“ fehle.

Während das Kornett in Frankreich, Italien, England oder Belgien aber lange Zeit sehr beliebt war, stieß es in Deutschland von Anfang an auf wenig Zuneigung. Zwar gab es auch hier Kornett-Virtuosen – etwa Wilhelm Wurm (1826 bis 1904), Theodor Hoch (1842 bis 1906) und Hugo Türpe (1849 bis 1891). Doch in deutschen Orchestern wurden Kornett-Passagen in der Regel von Ventiltrompeten übernommen, was – wie Berlioz meinte – für die Musik „ohne Nachteil“ blieb. Der deutsche Bläser Hermann Ludwig Eichborn (1847 bis 1918) beschimpfte das Kornett 1881 sogar als „zwitterhaft“ und setzte sich stattdessen vehement für die Trompete ein. Auch in England gab es kritische Stimmen, die das Kornett ein „vulgäres Instrument“ nannten, „das gerade noch für die Straßenmusik taugt“. Andererseits wiederum wetterte der amerikanische Kornettist Herbert L. Clarke (1867 bis 1945) heftig gegen die Trompete: „Ich habe noch nie gehört, wie ein wirklicher Solist öffentlich auf einer Trompete spielt. Man kann darauf ja nicht einmal richtig eine Melodie spielen. Tatsächlich beschmutzt die Trompete die musikalische Kunst.“

Clarke spielte fast ein Vierteljahrhundert lang Solo-Kornett in der Marschkapelle von John Philip Sousa. Auch in britischen Brass Bands gehören noch heute zehn bis elf Ventilkornette (und ein Flügelhorn) zum Standard; Trompeten dagegen sind Fehlanzeige. Dank solcher zivilen und militärischen Blasmusik-Traditionen erlebte das Kornett im 20. Jahrhundert noch eine unerwartete zweite Blüte – nämlich im frühen Jazz. Der hatte seinen Ursprung in den Parade-Bands von New Orleans, der ehemals französischen Kolonialstadt im US-Bundesstaat Louisiana. Seit der Abschaffung der Sklaverei durften sich dort auch die Afroamerikaner zunehmend bläserisch betätigen und gründeten ab ca. 1880 eigene Brass Bands. Nach dem Sezessionskrieg und nach dem Spanisch-Amerikanischen Krieg gab es genug preisgünstige Instrumente aus aufgelassenen Militärbeständen. Manuel Perez (1871 bis 1946) und Buddy Bolden (1877 bis 1931) gelten als die ersten Kornettisten, die Jazz spielten.

Von Dixie bis Free

Tatsächlich waren alle frühen „Jazztrompeter“ – ob dunkel- oder hellhäutig – ursprünglich Kornettisten. Daher genügen hier die bekanntesten Namen: Louis Armstrong, Bix Beiderbecke, Mutt Carey, Wild Bill Davison, Bunk Johnson, Freddie Keppard, Tommy Ladnier, Nick LaRocca, Jimmy McPartland, Bubber Miley, Red Nichols, King Oliver, Muggsy Spanier, Rex Stewart. Das „sprechende Kornett“ war der König im frühen Freiluft-Jazz. Erst als sich der lokale Schwerpunkt von New Orleans und Chicago nach New York verschob (um 1930), vollzogen viele Jazzmusiker den Wechsel vom Kornett auf die Trompete. Louis Armstrong (1901 bis 1971) zum Beispiel spielte die Trompete anfangs nur bei pseudo-klassischen Einlagen im Vendome Theater von Chicago. Doch als er immer häufiger in großen Ballsälen und vor Bigbands auftrat, wechselte er dauerhaft zur Trompete, die präziser und durchdringender klingt. Auf ihr waren die Dynamik und die hohen Töne in seinem Spiel leichter zu bewerkstelligen als auf dem Kornett. Um 1927 hörte Armstrong auf, ein Kornettist zu sein.

Für „Revivalists“, die sich der Pflege der frühen Jazzstile widmen, ist das Kornett dagegen immer lebendig geblieben. Musiker wie Ruby Braff, Bobby Hackett oder Humphrey Lyttelton spielten das Kornett zumindest als Zweitinstrument. Auch unter moderneren Jazzmusikern finden sich einige, die aus stilistischen Gründen das Kornett bevorzugten. Duke Ellingtons Trompeter Ray Nance (1913 bis 1976), der für seine deftigen Klangeffekte bekannt war, wechselte noch 1961 von der Trompete aufs handfestere Kornett. Nat Adderley (1931 bis 2000) fand im Kornett sogar das passende Instrument für seinen erdigen Hardbop-Stil. Selbst im freieren Jazz wandten sich mehrere Trompeter – darunter Bobby Bradford, Don Cherry, Olu Dara, Butch Morris – wieder dem Kornett zu. Dessen burschikoser, etwas gröberer Klang schien ihnen für ihre Musik (zumindest zeitweise) angemessener als die Trompete.

Bautechnisch haben sich Kornett und Trompete über die Jahrzehnte oftmals einander angenähert. Es gibt einen amerikanischen Typ von Kornett, der langgestreckt ist wie eine Trompete. Umgekehrt bevorzugen Jazzmusiker in der Regel dickwandige Trompeten, die wie das Kornett mit Pumpventilen ausgestattet sind. Man nennt diese Instrumente daher längst „Jazztrompete“ – im Gegensatz zur Konzerttrompete mit Drehventilen, wie sie in Sinfonieorchestern im deutschsprachigen Raum bevorzugt wird.

© 2012, 2015 Hans-Jürgen Schaal


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