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Wer sich der Musik Franz Koglmanns nähert, fühlt eine Hemmschwelle. Das liegt daran, daß schon so viele höchst bemühte Autoren so immens gelehrt und wahrhaft dialektisch über ihn geschrieben haben. Da erfuhr man zum Beispiel, Koglmanns subtile Kunst konstituiere "subkutane, eher gefühlte denn bewußt registrierte Zusammenhänge des Klang-Gewebes". Oder man lernte gar, daß Jazz eine "Kunst der Verbeiläufigung" sei: "Kunst nicht trotz, sondern durch die Klischees, was meint: mit dem Mittel der Klischees, aber auch in der Transzendierung der Klischees, durch die Klischees hindurch". Nun ja.

Strukturen der Melancholie
Franz Koglmann
(1999)

Von Hans-Jürgen Schaal

Franz Koglmann lacht zwar über den intellektuellen Ballast seiner Exegeten, aber sein Lachen klingt ein wenig bemüht. "Vielleicht haben die Leute zuviel Respekt", sagt er in diesem Wiener Tonfall, der schlecht zu bescheidenen Worten paßt. "Das ist eigentlich ein Problem der Schreiber und nicht meines. Das Allerletzte, was ich will, ist eine bürgerliche oder akademische Kunst. Davor graust's mir am meisten." Nicht Koglmanns Kunst, aber der Diskurs darüber ist durch und durch akademisch. Und wer wird da von den Schreibern nicht alles ins Feld geführt: antike und modernste Philosophen, Literaten jeder Couleur, bildende Künstler, Filmemacher, Musiker aller Richtungen!

Ganz unschuldig daran ist Koglmann allerdings nicht. Selbst im Telefon-Interview kommt er nicht umhin, Rimbaud und Novalis und Richard Sennett zu zitieren. Seine CD-Hüllen wimmeln von den Namen der Künstler, denen seine Stücke gewidmet sind oder ihre Inspiration verdanken: Jorge Luis Borges, Paul Celan, Giorgio De Chirico, Jean Cocteau, E.E. Cummings, Heimito von Doderer, Piero della Francesca, Paul Klee, Yves Klein, Karl Krolow, Nikolaus Lenau, René Magritte, Ezra Pound, Marcel Proust, Oskar Schlemmer, Georg Trakl, Paul Valéry, Undundund. Von Musikernamen ganz zu schweigen. Bildungsfetischismus? Koglmann korrigiert: "Ich halte mich nicht für besonders gebildet, ich habe lediglich gewisse Interessen. Und ich habe bestimmte Kunstwerke einfach als Anregungen deklariert. Ich denke mir, es könnte halt für den Rezipienten interessant sein".

Die intellektuelle Heißluft um Koglmann ist die eine Sache, die andere ist Koglmanns faszinierende und vielschichtige Klangwelt. Ihre formale Logik und ihre Mehrdeutigkeit sind von verschiedenen Arealen der klassischen und zeitgenössischen E-Musik angeregt. Ihr Jazz-Charakter hat seine Schutzheiligen unter kühlen Avantgardisten wie Tristano, Mulligan, Giuffre und kühnen Architekten wie Ellington, Monk, George Russell. "Jazz und Klassik waren von Anfang an die zwei Säulen meiner Lebenserfahrung", sagt Koglmann. Darum ist das Vermischen beider für ihn nicht Programm, sondern einfach Spiegel seiner Existenz. Er kann nicht anders.

Koglmann nennt seine Musik nicht unbedingt "Jazz". Es ist Musik, die mit Jazz-Elementen spielt, die Jazz-Abläufe zuläßt, aber auf Distanz bleibt zur Jazz-Geläufigkeit. "Man versucht etwas zu schreiben, was weder Songform noch Sonate ist. Es sollte eine eigene, hörend nachvollziehbare Logik entwickeln." Das war im Kern auch das Credo des Third Stream: dritte Kraft neben Jazz und Klassik. Koglmann hat keine Berührungsängste mit dem Begriff "Third Stream", er hält ihn nur für verstaubt: "Er ist an all die Leute wie Schuller und Hodeir gekoppelt, die zum Teil gute Musik geschrieben haben. Das war echte Avantgarde, die vom Free Jazz weggefegt wurde. Ob das musikalisch zu Recht geschah, ist eine andere Frage." Für seine eigene Musik bevorzugt er das Etikett "Chamber Jazz" - das übrigens noch älter ist als "Third Stream". Der Pianist Allyn Ferguson, der bei Nadia Boulanger und Aaron Copland studierte, leitete Ende der 50er Jahre unter dem Namen "Chamber Jazz Sextet" eines der besten Westcoast-Ensembles.

Was die Jazzfans einst am experimentellen Cool Jazz, Third Stream und Westcoast Jazz schätzten, das finden viele heute in Koglmanns Musik: Jazz mit Struktur. Kontrapunkt und Feinnervigkeit. Dissonanz und Architektur. Seelenvolle Kopfarbeit, polyphone Gefühle, lustvolle Avantgarde. Der Unterschied zu einst: Shorty Rogers hatte Humor und Hollywood, Franz Koglmann hat nur Wien. Blinde Liebe zum Jazz kann da nicht wachsen, denn der Wiener an sich ist nun mal komplex. Über die Vorstellung, daß sich ein Musiker im Jazzspielen zu finden und mitzuteilen habe, über diesen "Gefühlsdusel" (ein Produkt der bekennenden Inbrunst amerikanischer Freikirchen), über diesen "hypertrophierten Ehrlichkeits-Zwang" kann ein Koglmann nur lästern.

Koglmanns Vorstellungen von Emotion und Individualität sind vielschichtig, literarisch, abendländisch, kennen Gegensätze, Brüche, Zwischentöne. Mit der platten Ideologie des Jazz, die eine Improvisation schlicht als Seelentrip wertet, verträgt sich das nicht. "Ein Jazz-Solo", sagt Koglmann, "muß die Qualität einer Komposition haben und gleichzeitig Emotion und Sinnlichkeit transportieren. Die meisten Jazz-Soli vermitteln nur die Qualität des Intuitiven. Aber die besten Improvisationen eines Sonny Rollins oder Chet Baker sind eigentlich Kompositionen." Von aller Kunst erwartet Koglmann diese Balance zwischen Emotion und Form: Reine Mathematik ist ihm da ebenso zuwider wie bloßes Aus-dem-Bauch-spielen. "Ich glaube, daß in meiner Musik so etwas wie eine sinnliche, nervenbetonte Verfeinerung eine Rolle spielt, vielleicht auch eine gewisse Dekadenz." Merke: Der Wiener an sich kennt nicht nur den Blues, sondern tausend dunkle Schattierungen der Melancholie.

Koglmann ist Komponist und Musiktheoretiker, aber er bläst auch ganz profan ins Instrument. Louis Armstrong, den er mit 14 Jahren erstmals hörte, war der Katalysator. Miles Davis, den er mit 21 auf der Bühne erlebte, gab dann endgültig die Richtung in den Jazz vor. Als Trompeten-Student in der Jazz-Klasse des Wiener Konservatoriums kam Koglmann mit Free-Jazz-Kreisen in Berührung, schätzte aber auch da schon die komponierenden Zeitgenossen: Carla Bley (damals), Bill Dixon (auch als Trompeter), Michael Mantler (mehr als Figur). "Die Trompete ist ein sehr heikles Instrument, weil man eigentlich sein Sklave ist. Das ist eine Art Hochleistungssport", sagt Koglmann heute. "Ich bin nicht der Typ, der glaubt, daß er als Trompeter noch Standards setzen kann. Aber eine der Stärken der Jazzmusik ist ja eben, daß man sich auf seinem Instrument ausdrücken kann, ohne den Anspruch des Virtuosen zu erheben - siehe Pee Wee Russell, Chet Baker, Thelonious Monk. Die virtuosen Spieler sind im Jazz nicht immer die überzeugendsten."

Ebenso alt wie seine Beziehung zu Louis Armstrong ist die zu Jean Cocteau, dem französischen Schriftsteller und Filmemacher, Dada- und Surrealisten. "In meiner Jugend war er eine Art künstlerisches Rückgrat für mich." Hin und wieder hat Koglmann versucht, seine Beziehung zu Cocteau musikalisch umzusetzen - etwa mit "Der Vogel" und "Opium". Es gibt sogar ein Libretto für eine Oper nach Cocteaus "Les Enfants Terribles": Der Opernplan zerschlug sich zwar, aber mit der aktuellen CD "Make Believe" hat Koglmann, wie er sagt, "das Libretto ohne Worte musikalisierend verknappt". Ein achtteiliges Werk, von Cocteau inspiriert und in einer dieser typischen Koglmann-Besetzungen eingespielt: drei Bläser, Gitarre, Baß, kein Schlagzeug. Oder: Kammer-Jazz der surrealen Zwischentöne.

Mit der CD entstand zugleich ein neues Label: "Between the Lines". Der Initiator, Paul Steinhardt, ist Bänker in Frankfurt und Koglmann-Fan. Vor einem Jahr initiierte er einen Koglmann-Auftritt in Frankfurt, und gleich nach dem Konzert fiel ihm ein, man könnte doch eine Plattenfirma starten - mit Franz Koglmann als künstlerischem Leiter. "Da werden auch Einflüsse des Art-Rock-Bereichs oder des aktuellen Minimalismus eine Rolle spielen." Drei CDs sind schon erschienen, für das Jahr 2000 ist bereits ein zweites Koglmann-Werk angekündigt: "An Affair with Strauß". "Keine Parodie auf Strauß oder etwas besonders Lustiges, ganz im Gegenteil. Es ist eher etwas sehr zurückgenommen Lyrisches. Eine typische Monoblue-Musik, nur noch reduzierter." Wien ist halt doch eher eine traurige Stadt.

© 1999, 2004 Hans-Jürgen Schaal


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