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In memoriam

Pit Huber
† 25.01.2011

Nach ersten Erfahrungen mit Studentenzeitungen und Zuschriften an Radios wurde Pit Huber 1995 endlich als Jazz-Kolumnist entdeckt. 15 Jahre lang pfiff er vergeblich gegen die strahlende Dunkelheit an - mit seinen Kolumnen "Offbeat" und "Total im Trend" (beide im Magazin "Jazz thing") und als viel gescholtener Blogger auf "blog thing". Pit Huber ließ sich nie unterkriegen - und er setzte sich auch mit seinem letzten Wunsch durch: Sein Vorsatz für 2011 war, sich wenigstens ein einziges Mal ins Koma zu saufen. Dies gelang ihm bereits in der Silvesternacht, er hat daraufhin das Bewusstsein nicht wiedererlangt. Die Beisetzung fand im allerkleinsten Kreise statt.

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Das Beste von Pit Huber

(1) Im Jazz reicht uns der liebe Gott den kleinen Finger.

(2) Das Leben ist ein Irrtum. Nur die Musik macht, dass wir das manchmal vergessen.

(3) Ein Musiker muss weder intelligent noch moralisch sein. Er kann ein Arschloch sein und seine Musik kann dennoch die Säulen des Universums erschüttern.

(4) Ein Körper krümmt den Raum, ein Sound krümmt den Hörraum.

(5) Jazz ist Veränderung. Veränderung führt aus der Krise.

(6) Auch György Ligetis „San Francisco Polyphony“ ist planetare Spitzentechnologie.

(7) Eigentlich hätte Adrian Rollini den Cool Jazz erfinden müssen.

(8) Wer zwei Akkorde aneinanderreihen kann, wird schon interviewt. Warum interviewen wir nicht auch Maurer oder Schreiner?

(9) Jazz ist etwas zwischen offener und geschlossener Therapie.

(10) Religion? Nein, danke! Musik ist mir Transzendenz genug.

(11) Jazz ist wie ganz viel Schokolade.

(12) Jazz ist das Planetenfernrohr des 21. Jahrhunderts.

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Aus dem Kondolenzbuch

Verdammt Pit, warum? Du warst der Einzige, der's kapiert hat! Wen soll ich jetzt Nachts um Drei anrufen, wenn mir der Jazz wieder mal so klein und meine Arbeit so unbedeutend vorkommt? Schöne Scheiße! Friede Deiner Leber. Aber Dein Geist bleibt hier, basta!
Reinhard Köchl

Der Honda Jazz, die Utah Jazz, der Saxofonist in der Haargel-Werbung - Pit Huber kannte diese Phänomene und sie waren ihm ein Graus. Über ein Jahrzehnt lang hat er die Jazz-Entwicklung "total im Trend" analysiert und kommentiert, jetzt mag er nimmer.
Rolf Thomas

Die Absurditäten des Jazz- und Multikulti-Getriebes, Du konntest sie alle entlarven. Du führtest uns behutsam heran an Jazzipedia und Jazzopoly, seziertest hohle Promo-Phrasen, verzweifeltest an designorientiertem Lifestyle und Afterwork-Erlebnissen. Zur Strecke gebracht hat Dich schließlich der Alkohol, so, wie es sich für einen wahren Poeten geziemt. Mögen sich die bittersüßeste Marching Band, die herzzereißendsten Klageweiber und die groovigsten Totenglocken vereinigen, um Dir die letzte Ehre zu erweisen. Als Rufer in der Wüste bist Du nun - frei nach Gustav Mahler - der Welt endgültig abhanden gekommen - doch Deine mahnende Stimme bleibt unvergessen.
Stefan Franzen

Pit Huber war ein Visionär unter den Jazz-Schreibern. Einer, der Entwicklungen und Tendenzen im Business schon ahnte, obwohl sie noch niemand bemerkt zu haben schien. Jemand, der den sprichwörtlichen Finger in die offene Wunde der Jazzbranche zu legen verstand, zumeist ohne Rücksicht auf Verluste, stets Aufklärung und Offenlegung als oberstes Gebot, nur der eigenen journalistischen Ethik verpflichtet. Beispiel? „Offbeat“ in der September/Oktober-Ausgabe von Jazz thing 1995. Damals tanzte auch die Jazzbranche jedes Jahr auf der Popkomm in Köln selbstverliebt um das Goldene Kalb. Man hing dem Wahn vom ewigen Wachstum an und glaubte, bis zum „St.-Nimmerleins-Tag“ schwarze Zahlen zu schreiben. Und was machte Pit? Er schrieb darüber, wie man tatsächlich mit Jazz Geld verdienen kann: als „Bootlegger“. Und sah voraus, was die Branche später in die noch immer andauernde Krise führen sollte: Napster, illegale Downloads, Ignorieren des Urheber-Rechts etc. pp. Ein Sturm im Wasserglas war entfacht, das Telefon in der Redaktion stand nicht mehr still. Aufforderung zu kriminellen Akten war noch das Mildeste, was Pit im Besonderen und Jazz thing im Allgemeinen vorgeworfen wurde. Und wir sahen uns daraufhin genötigt, die Musikbranche hinsichtlich ihrer „klassischen“ Bildung zu prüfen: „Difficile est satiram non scribere.“ Gleichgültig, ob Pit später die Pfeifen bei den Kirchenorgelkonzerten einer Barbara Dennerlein zum Thema gemacht oder das Ende der klassischen Jazzclubs in Zeiten des Rauchverbots prognostiziert hat, wir „hinterbliebenen“ Kollegen werden seine Offenheit im Umgang mit brenzligen Themen und seinen kenntnisreichen, investigativen Journalismus schmerzlich vermissen – und uns umschauen, wie arm und leer die Jazz-Schreiberszene sein wird, wenn Pit Huber in die kalte Grube gefahren ist.
Martin Laurentius

R.I.P. Pit! Wir werden Dich sehr vermissen!
Lorenz Hargassner

Ich habe Pit nicht persönlich gekannt, aber die Umstände seines Todes sind erschütternd. Jeder von uns hat nur dieses eine einzige Leben. Wenn es jemand viel zu früh verliert, weil er sich – ob nun gewollt oder ungewollt – in einer Nacht buchstäblich zu Tode säuft, erscheint mir dies als ein Ende, das so sinnlos ist wie entsetzlich.
Uwe Wiedenstried

Als wir vom Tod des geachteten und geliebten Kritisierers hörten, herrschte betroffenes Schweigen im Club. Die Bläser verstummten, Tastenknecht und Saitenknecht ließen ihre Finger ruhen, selbst das Tier an seiner Schießbude hielt die Snare an, und es dauerte eine ganze Weile, bis wir Worte fanden, um unseren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Mag sich das kommende Ende seiner extravaganten Existenz schon in den letzten Jahren drohend angekündigt haben, doch Pit Huber hat uns weiterhin vorgelebt, wie man geradewegs die Bourbon Street entlangtorkelt, seinem Anspruch die Korrektur-Fahne hält und lotrecht sein Jazz-Ding durchzieht. Auch in einer Zeit, in der einstmals „emporstrebende deutsche Nachwuchstrompeter“ den X Factor von Pop-Zwergen bewerten und im Gegenzug dazu nur noch ein lauwarmes Sommerlüftchen durch die Ventile pusten. Die Welt ist ärmer geworden um einen einsamen Rufer und Mahner in der Ödnis von elevator music und smooth jazz. In diesen schweren Stunden kann unser Trost nur darin bestehen, liebevoll zu schweigen und schweigend ein Glas (oder mehr) zu heben auf abwesende Freunde. May his soul and the souls of all the departed faithful by God's mercy rest in peace. In tiefer Trauer,
Franz Huber (nicht verwandt)

Zwischen Pit und mich passte kein Blatt Papier.
Hans-Jürgen Schaal

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Erinnerungen an einen guten Freund

Pit Huber war immer etwas anders. Bereits als Kleinkind hat er sich über die Absurdität der Welt häufig die Seele wund gelächelt. Noch vor der Pubertät interessierte er sich daher vehement für Chaostheorien und Dissoziationsaxiome. Mit 16 verlor er sein Herz ganz aufrichtig und ohne Rückzugsmöglichkeit an den Jazz. Während andere verbissen nach Discomusik herumhopsten, erkundete er den instabilen Kosmos von Miles Davis und John Coltrane.

Das Trauma seines Lebens: Huber entdeckte bald den typischen Jazzfan. Und dann die Jazzkritiker und die Jazzproduzenten und die Jazzveranstalter und die Jazzpromoter und die Jazzredakteure und kriegte sich kaum noch ein. Nie hätte er gedacht, dass Dummheit swingen könnte! Von da an legte Huber eine gewisse Renitenz an den Tag. Unangenehm fiel er 1986 bei einem Jazz-Hörerwunschkonzert im Radio auf. Während sich alle Hörer romantische Balladen und sanfte Bossas wünschten, bat er für die abendliche Schmusestunde um eine Lärmorgie von Peter Brötzmann. Das Drei-Minuten-Stück wurde vom Radio-Redakteur ziemlich heftig ausgeblendet.

Nach weiteren düsteren Erfahrungen hielt er sich jahrelang von der Jazz-Öffentlichkeit fern und überließ das Wünschen (und Kritisieren und Dummheiten-Machen) ernsthafteren Menschen. Erst in den 90er-Jahren, als ihn sowieso nichts mehr überraschen konnte (Huber arbeitete als Perplexions-Manager im Detraction Department einer mittelständischen Firma des entropieerzeugenden Gewerbes) ließ sich Huber dazu überreden, seine etwas andere Sicht der Dinge einer größeren Öffentlichkeit zu präsentieren. Schuld war das Magazin „Jazz thing“, das dem damals nur in Insiderkreisen bekannten Pit Huber eine eigene Kolumne anbot.

Seit Februar 1995 erschien in „Jazz thing“ Hubers „Offbeat“, worin der Autor markante Akzente neben den Rhythmus des Common Sense setzt. Dass er dabei manchmal aneckte, liegt in der Natur von Takt und Timing. Dennoch gab ihm „Jazz thing“ noch eine weitere Chance: Seit September 1998 hatte Huber eine zweite Kolumne namens „Total im Trend“. Darin ging er den neuesten Entwicklungen der Szene nach und erfasste ihre konfuse Essenz in philosophischer Überhöhung. Um der Wahrheit ihr Recht zu geben: Vielen der hier beschriebenen Trends hat Spürnase Pit Huber erst zum Erfolg verholfen. Im Spätherbst 2005 schließlich übernahm Pit Huber auch die Aufgabe, „blog thing“, das Weblog von „Jazz thing“, von der Stand- auf die Überholspur zu bringen – bald unterstützt von kompetenten Mitstreitern aus der Musikerszene wie Lisa Bassenge, Sandra Weckert oder Christopher Dell.

Pit Hubers veröffentlichtes Werk:
- 80 Glossen „Offbeat“ (1995-2011)
- 63 Beiträge „Total im Trend“ (1998-2011), bestehend aus drei bis fünf Kurztexten
- 75 Online-Posts auf „blog thing“ (2005-2010)
- einzelne Beiträge in „Jazz thing“

Pits Vermieterin zufolge existiert ein umfangreicher Nachlass, vor allem Materialsammlungen, die mehrere Kellerräume und zwei Computer-Festplatten füllen. Auch unveröffentlichte Texte müssten da vorhanden sein: abgelehnte Glossen, abgelehnte Erstfassungen von Beiträgen und frühe Texte aus Hubers Studentenzeit. (hjs)


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