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Longtrack

Zum Progrock gehören Tempowechsel, Klassik- und Jazzanklänge, umfangreiche Instrumentalteile und überraschende Instrumente. Weil das alles zusammen kaum in einen Drei-Minuten-Song passt, gibt es den Longtrack.

Spock's Beard: The Doorway (1995)

Von Adrian Teufelhart

Fast unbemerkt vollzog sich um 1990 eine kleine Wiedergeburt des Progressive Rock. Damals nahmen zahlreiche Bandprojekte Fahrt auf, die bis heute von Bedeutung sind, darunter Änglagård, Dream Theater, Echolyn, Enchant, Flower Kings, King’s X, Magellan, Opeth, Pain Of Salvation, Porcupine Tree – und Spock’s Beard. Die neue Welle unterschied sich vom klassischen ProgRock der 1970er Jahre allerdings in mehrfacher Hinsicht. Die jungen Musiker besaßen in der Regel eine bessere Spieltechnik als ihre Vorgänger, hatten einen weiteren musikalischen Horizont und mehr technische Möglichkeiten, was Elektronik und Studio betrifft.

Davon abgesehen aber war der ProgRock der 1970er Jahre das große, prägende Vorbild. Kein Wunder, wenn man sich die Geburtsjahre dieser neuen ProgRocker ansieht. Drei der fünf Musiker von Spock’s Beard, die 1995 das Album „Beware The Darkness“ aufnahmen, erblickten zwischen 1956 und 1960 das Licht der Welt. Das heißt: Im großen ProgRock-Jahr 1973 waren sie Teenager zwischen 13 und 17 Jahren! Allein in jenem Jahr erschienen damals Alben wie „Dark Side Of The Moon“, „Larks’ Tongues In Aspic“, „Tubular Bells“, „A Passion Play“, „In A Glass House“, „Selling England By The Pound“, „Brain Salad Surgery“, „Solar Fire“ oder „Tales From Topographic Oceans“. Wie sollte das ohne Folgen bleiben?

„The Doorway“ (11:27) ist einer der frühesten Songs von Spock’s Beard, auch wenn er erst auf ihrem zweiten Album erschien. Anders als viele andere Longtracks ist er nicht aus disparaten Teilen zusammengefügt, sondern durfte aus sich heraus wachsen. Das spürt man an den ausgereiften Themen, Motiven und Riffs, die einen kaum jemals wieder loslassen. Das Stück beginnt mit einem Klavier-Intro, gefolgt von einem dramatischen Band-Motiv, dann kommt die erste Strophe mit Refrain... So könnte man zwar auch einen Drei-Minuten-Song beschreiben, nur sind die Abschnitte hier natürlich umfangreicher und komplexer. Schon das Piano-Intro bringt es auf über eine Minute, die erste Gesangsstrophe beginnt bei 1:45, der zweite Refrain endet bei 3:35. Im langsameren Mittelteil (bis 7:00) werden Strophe und Refrain variiert und mit akustischen Gitarren begleitet, dann folgt ein raffinierter Instrumentalteil mit improvisierten Füllseln, ehe bei 8:28 die letzte Strophe einsetzt.

Spieltechnisch gingen die Musiker an ihre Grenzen. Neal Morse gab zu, dass er am Piano-Intro scheiterte und schließlich die rechte und die linke Hand getrennt aufnahm. Sein Bruder Alan hat sich beschwert, dass bei schlechtem Bühnenlicht die schwierigen akustischen Gitarrenparts kaum spielbar seien. Bis heute ist „The Doorway“ aber ein Gänsehautbringer im Konzert.

Erschienen in: Fidelity 25 (2016)
© 2016, 2019 Hans-Jürgen Schaal


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