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Jazz ist unübersichtliches Gelände – leicht kann man da Bedeutendes übersehen. Hans-Jürgen Schaal präsentiert unbesungene Höhepunkte der Jazzgeschichte.

Die heimlichen Meisterwerke des Jazz (34)
Herbie Hancock: Takin’ Off (1962)
(2020)

Es war der erste Schritt zur Weltkarriere – und alle Beteiligten ahnten es schon. Er sei sicher, dass Herbie Hancock einmal „sehr wichtig“ würde, schrieb der Trompeter Donald Byrd schon im Vorjahr. Damals organisierte Byrd für Hancock eine Privataudienz beim Produzenten des Labels Blue Note. Herbie spielte am Klavier drei eigene Stücke vor, und Alfred Lion sagte: „Bring noch drei weitere mit!“ Und im Mai 1962 war es dann so weit: Der Pianist ging für Blue Note zum ersten Mal als Bandleader ins Studio – natürlich bei Rudy Van Gelder. Alfred Lion ermöglichte ihm den bestmöglichen Start mit den bestmöglichen Leuten. Mit Freddie Hubbard, dem jungen, vor Kraft und Fantasie strotzenden Wundertrompeter. Mit Dexter Gordon, dem legendären Saxofonisten, der nach einer längeren Gefängnisstrafe (wegen Drogenmissbrauchs) gerade von Blue Note unter Vertrag genommen worden war. Mit Butch Warren, Herbies gewohntem Bassisten aus der Donald-Byrd-Band. Und mit Billy Higgins, dem feinnervigsten, elegantesten Studio-Schlagzeuger dieser Zeit. „Takin’ Off“ sollte das Album heißen. Hancocks Karriere hob von der Startbahn ab.

Der 22-Jährige hatte, wie gewünscht, sechs eigene Stücke vorbereitet. Die meisten davon passten genau ins Blue-Note-Schema. „Empty Pockets“, „The Maze“ und „Driftin’“ sind erdige Hardbop-Nummern, perfektionierte Gospel-Jazz-Klassiker ganz im bewährten Stil von Horace Silver – kompakte Bläsermotive im Wechsel mit einem funky Piano, dabei aber gespickt mit kleinen Überraschungen und frischen Pointen. Und Hancocks Klavier-Improvisationen steuern bereits eine ganz andere Umlaufbahn an! Dann sind da noch der Walzer „Three Bags Full“, der Miles Davis’ 60er-Jahre-Quintett vorwegzunehmen scheint, und die wunderbare Ballade „Alone And I“, in der die beiden Bläser einmal ihre lyrische Seite zeigen dürfen.

Schließlich natürlich: das Erfolgsstück, das das Album eröffnet, Herbie Hancocks erster Hit, „Watermelon Man“ – ebenfalls ein erdiger Gospel-Bop, aber nicht mehr swingend, sondern mit straighten Achteln gespielt, im Groove des gerade aktuellen Soul-Jazz. Die gekürzte Single-Auskopplung schaffte es tatsächlich in die Top 100 der amerikanischen Popcharts. Und der Rhythmus erlaubte dem Stück den Sprung in viele Genres, mehr als 200 Aufnahmen soll es vom „Watermelon Man“ geben. Der Erste, der das Stück adaptierte, war der Latin-König Mongo Santamaría. Seine Version, die im Herbst 1962 entstand, kletterte sogar bis in die Top 10. Auch diese Latin-Adaption hatte Donald Byrd vermittelt, Hancocks erster Förderer. Er empfahl dem jungen Pianisten außerdem, einen eigenen Musikverlag zu gründen – ein Supertipp. Die Verlagstantiemen für „Watermelon Man“ legte Hancock in einem Sportwagen an, einem Shelby Cobra. So einen fuhr auch Donald Byrd.

© 2020, 2023 Hans-Jürgen Schaal


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