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Erfunden wurde es um 1760, Mozart machte es unsterblich. Dennoch ist die Geschichte des Bassetthorns voller Missverständnisse, Krisen und Kontroversen. Denn die einen empfanden seinen melancholischen Klang als heilig und feierlich, die anderen eher als unpersönlich und glanzlos.

Das Bassetthorn
Der Klang der Melancholie
(2011)

Von Hans-Jürgen Schaal

Verwirrung stiftet schon der Name: Bassetthorn. Ja, Bassett heißt auch eine Hunderasse, vermutlich wegen ihres niedrigen Körperbaus. Denn „Bassetto“ ist einfach die Verkleinerung von „basso“ und bezeichnet in der Musik ein Register, das zwar über dem Bass liegt, aber durch zusätzliche Töne in Richtung Bassbereich erweitert sein kann. Komplizierter wird es beim Begriff „Horn“: Das Bassetthorn ist eine Klarinette und hat mit einem Waldhorn nichts zu tun. Warum das Instrument dennoch ein „Horn“ in seinem Namen hat, darüber gibt es verschiedene Theorien. Eins: Die frühesten Bassetthörner waren halbkreisförmig gebogen – ähnlich einem Horn. Zwei: Sie waren mit Leder umwickelt wie Jagdhorn oder Zink. Drei: Das Bassetthorn besitzt – anders als die Klarinette – einen metallenen Trichter. Vier: Sein Klang in der Tiefe kann an ein Waldhorn erinnern. Fünf: Es verhält sich zur Klarinette wie das Englischhorn zur Oboe – und das Englischhorn ist ja auch kein Horn.

Erfunden wurde das Bassetthorn in Deutschland um das Jahr 1760. Bis dahin war die Klarinette – rund ein halbes Jahrhundert lang – einfach nur ein Sopran-Instrument. Aber plötzlich meldete sich ein Bedarf an Sonorität: Die Bassklarinette wurde nun entwickelt, ebenso die Bassettklarinette – eine Sopranklarinette mit zusätzlichen tiefen Tönen –, und eben auch das Bassetthorn: eine Klarinette in Altlage mit Zusatzklappen zur Erweiterung des Tonumfangs nach unten. Notiert wird das Bassetthorn in C, gestimmt ist es meist in F, aber es gab auch Bassetthörner in D, E, Es und G. Die Familie Mayrhofer in Passau und ein Theodor Lotz in Wien haben Entscheidendes zur Entwicklung des frühen Bassetthorns beigetragen, der eigentliche Erfinder aber ist unbekannt. Einige der ersten Instrumente wurden offenbar am fürstlichen Hof der Thurn & Taxis in Regensburg gespielt.

Damit man das längere Bassetthorn noch bequem greifen kann, durfte es nicht die gestreckte Form der Klarinette behalten. Die ersten Bassetthörner hat man daher sichelförmig gebaut: Dafür wurde das Holz eingeschnitten, gebogen, ausgebessert und dann umwickelt – keine Ideallösung. Man ging bald zu einer geknickten Form über, die aus verschiedenen Holzröhren zusammengesetzt war. Verkürzt hat man das Instrument zudem durch ein kleines Kästchen („Buch“), in dem das Rohr – dem Blick verborgen – noch dreimal geschlungen wurde, kurz bevor es den Schalltrichter erreicht. Das „Lotz-Modell“ der Wiener Klassik besaß die einfach geknickte Form – der Winkel betrug etwa 30 Grad. Später wanderte der Knick der Röhre in Richtung Mundstück und wurde zur „Knickbirne“. Die heutige „Tabakspfeifenform“ – mit geradem Rohr, sanft gebogener Birne, nach oben weisendem Trichter – entstand erst um 1900 durch Wilhelm Heckel.

Mozarts Lieblingsinstrument

Der Vizekapellmeister am Salzburger Hof war ein umtriebiger Mann, der immer wusste, was es auf der Musikszene Neues gab. Auch das Bassetthorn entging ihm nicht – und so kommt es, dass sein elfjähriger Sohn, das reisende Wunderkind Wolfgang Amadé, im Jahr 1767 bereits „viele Stücke“ für zwei Bassetthörner komponiert hatte. Zeitlebens liebte Mozart die Klarinette, aber vielleicht mehr noch diese Alt-Variante mit den zusätzlichen Tiefen. Denn in mancher Hinsicht bedeutete das Bassetthorn noch eine Steigerung zur Klarinette: Seine Ansprache war noch launischer, die Intonationsprobleme waren noch größer – aber vor allem war der Klang noch melancholischer, verhaltener, dunkler und mysteriöser. Dies lag an der klarinettentypischen Bohrung, die im Verhältnis zur Länge des Instruments dann doch extrem eng wirkt. Mozart war fasziniert von diesem zarten, stimmähnlichen Timbre und hörte das Bassetthorn daher am liebsten pur oder zusammen mit menschlichem Gesang. „Kein Instrument passt besser zur menschlichen Stimme“, meinte Johannes Brahms einmal anlässlich einer Mozart-Aufführung.

Mozart als Komponist, dazu die beiden Klarinetten-Virtuosen Anton und Johann Stadler sowie der Instrumentebauer Theodor Lotz: Dieses Quartett machte Wien in den 1780er-Jahren zur Hauptstadt des Bassetthorns. Das Instrument hatte damals acht Klappen und wurde im Sitzen gespielt, zwischen den Knien gehalten. 1783 entstanden aus Mozarts Feder die Fünf Divertimenti für drei Bassetthörner (KV 439b) sowie die Notturni für drei Gesangsstimmen und drei Bassetthörner (KV 436-439). 1785 folgte die Maurerische Trauermusik (KV 479a), bei der ein bis drei Bassetthörner beteiligt sind, und 1786 die 12 Duos für zwei Bassetthörner (KV 487). Auch verschiedene Adagios und Fragmente Mozarts aus den Jahren 1783 bis 1791 sahen ein oder mehrere Bassetthörner vor. Vor allem bei Feierlichem, Religiösem, Traurigem und Freimaurerischem fand der Komponist den sanften, heiligen Klang des Bassetthorns angebracht. Auch im „Requiem“ und in der „Zauberflöte“ durfte es daher nicht fehlen.

Nachdem der große Mozart beispielgebend vorangegangen war, fanden andere bedeutende Komponisten ebenfalls Geschmack am Bassetthorn. Carl Stamitz schrieb dem Instrument ein Konzert in B-Dur, Ludwig van Beethoven verwendete es in seiner Ballettmusik „Die Geschöpfe des Prometheus“, Gaetano Donizetti in seinem Miserere („Tibi soli peccavi“). Zwei bleibende Werke hinterließ Felix Mendelssohn-Bartholdy mit den jeweils dreisätzigen Konzertstücken op. 113 und op. 114 für Klarinette, Bassetthorn und Klavier (oder Orchester). Diese Konzertstücke entstanden für Heinrich und Carl Baermann (Vater und Sohn), die führenden Klarinettisten ihrer Zeit. Leckermaul Mendelssohn ließ sich das erste der Konzertstücke übrigens mit einer von Carl Baermann frisch zubereiteten Süßspeise „bezahlen“. Der Komponist nannte sein Werk daher „ein großes Duett für Dampfnudel oder Rahmstrudel, Klarinette und Bassetthorn“.

Corno di Bassetto

Die Erfindung des Bassetthorns regte so viele Komponisten an, dass die Pariser Oper schon 1773 einen Bassetthornisten anstellte. Dennoch fand das Instrument nicht den Weg ins Sinfonie-Orchester des 19. Jahrhunderts. Der Grund: Die technische Weiterentwicklung des Bassetthorns hielt nicht recht Schritt mit dem Gang der Geschichte. Das Instrument galt als verhältnismäßig schwer zu greifen, weil die ständig verbesserte Klarinetten-Applikatur nicht automatisch fürs Bassetthorn übernommen wurde. Auch das Mundstück war bald veraltet und der Klang des Bassetthorns grundsätzlich zu leise fürs romantische Orchester. Als erfolgreichere Konkurrenten erwiesen sich die Bassklarinette in B, die auch das Tenor- und Altregister abdecken kann, und die Altklarinette in Es. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war das Bassetthorn so sehr vernachlässigt, dass es oft schwierig wurde, zwei oder drei Bassetthörner und Bassetthornisten aufzutreiben – selbst für Mozart-Aufführungen.

Ohne Mozart wäre das Instrument ohnehin längst vergessen, meinte der Schriftsteller George Bernard Shaw noch 1937. Und Mozart habe das Bassetthorn im „Requiem“ nur wegen seines blassen melancholischen Klangs verwendet, schrieb Shaw: „Das völlige Fehlen aller Fülle und Leidenschaft in seinem Ton ist genau das Richtige für ein Begräbnis.“ Ironischerweise hatte der spätere Bassetthorn-Verächter Shaw 1888 den italienischen Namen des Instruments, „Corno di Bassetto“, als Pseudonym für seine Musikkritiken gewählt. „Es klang wie ein ausländischer Adelstitel und niemand wusste, was es war. Hätte ich 1888 auch nur einen Ton aus ihm gehört, hätte ich für eine Figur, die glänzen sollte, diesen Namen nicht gewählt. Selbst der Teufel brächte ein Bassetthorn nicht zum Glänzen.“

Zum Glück war das jedoch nicht das letzte Wort zum Bassetthorn. Für das moderne Instrument mit gerader Röhre und aufgebogenem Trichter wurden alle Klarinetten-Neuerungen adaptiert: Es ist in Lautstärke und Dynamik den Anforderungen von heute angepasst und wird wahlweise mit Böhm-System oder deutscher Griffweise gebaut. Daher hat das Bassetthorn nicht nur in der historischen Aufführungspraxis seinen Platz, sondern ist auch im Werk moderner Komponisten zu Hause – von Charles Ives und Richard Strauss bis hin zu Markus Stockhausen und Marc-Anthony Turnage. Wurden im 19. Jahrhundert Bassetthorn-Stimmen häufig vom Englischhorn übernommen, so spielt man heute umgekehrt gerne Fagottstimmen auf dem Bassetthorn. Das Format des Klarinettenquartetts (z.B. zwei Klarinetten, ein Bassetthorn, eine Bassklarinette) wird immer beliebter, sogar Klaviertrios (Piano-Violine-Cello) werden für Piano-Klarinette-Bassetthorn umgeschrieben. Für viele Klarinettisten heute – z.B. Tara Bouman, Sabine Meyer, Beate Zelinsky – ist das Bassetthorn wieder zum selbstverständlichen Zweit- oder Drittinstrument geworden.

© 2011, 2015 Hans-Jürgen Schaal


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