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Frauen am Saxophon sind im Jazz – trotz vieler junger Talente – noch immer Paradiesvögel: bestaunt, belauert, toleriert. Doch plötzlich kommt eine, die den „male chauvinism“ der Jazzpolizei völlig über den Haufen wirft: „Dank Géraldine Laurent glauben wir wieder an den Jazz“, so lautet das überraschende Credo der Fachmänner in Frankreich.

Géraldine Laurent
Around Gigi
(2011)

Von Hans-Jürgen Schaal

Gigi Gryce war ein Musiker, den man einfach lieben musste. Ein Mann am Instrument Charlie Parkers, raffiniert zwischen Hardbop und Cool pendelnd, den besten Trompetern seiner Zeit Paroli bietend, ein wunderbarer Stückelieferant und dennoch bereit, als Bandleader auch die undankbarsten Kompositionen von Thelonious Monk einzuspielen. Sein letztes Album (1960) nannte er „Rat Race Blues“: Angeblich ging es da nur um den Alltagsstress der Großstadt, aber tatsächlich meinte der Altsaxophonist das Gefeilsche und Gehetze des Musikbusiness, das er satt hatte. Längst betrieb er seinen eigenen Musikverlag. Bald danach warf er seine Jazzkarriere hin und wurde Musiklehrer.

Einem Coltrane, Parker, Monk, Ellington oder Armstrong wurden schon viele Alben gewidmet. Eine Hommage an Gigi Gryce hat dagegen Seltenheitswert. Die 35-jährige Französin Géraldine Laurent hat einige der bekanntesten Stücke des Altsaxophonisten ausgewählt, dazu ein paar, die er unvergesslich gespielt hat, und sie hat einige eigene Stücke beigetragen, die – die Titel verraten es – von Gryce’ Nummern inspiriert sind. Warum gerade Gryce? Da gibt es manche Brücke: Angeblich hat der Saxophonist einst in Paris studiert, er machte mehrere Aufnahmen dort und das Namenskürzel „Gigi“ klingt in Frankreich definitiv vertrauter als in Amerika. (Es verdankt sich den Initialen seiner Vornamen: George und General.)

Aber was die musikalisch resolute Französin wirklich mit ihrem 50 Jahre älteren Vorgänger verbindet, das ist das innige, kontrollierte Feuer ihres Altsaxophonspiels, dieser Balanceakt zwischen kühl und heiß. Laurent ist keinesfalls eine Nachahmerin, sie spielt wilder, freier, unordentlicher als Gryce, sie klingt nach heute und hat ihre ganz eigenen Phantasien, wenn es um die Entfaltung eines Solos geht. Und doch ist sie eine Musikerin, die auch die kleinen Töne beherrscht, das Wie-nebenbei-Gesagte, die mit einer Saxophonphrase ein Klaviersolo einleiten kann oder eineinhalb Minuten lang mit dem Pianisten freien Kontrapunkt improvisiert.

Oder sie zaubert diese Monk-Etüde hin nur im Duo mit dem Schlagzeuger, dieses riskante „Gallop’s Gallop“ mit noch riskanteren Freiheiten, und improvisiert dazu einen zweiten Chorus aus den Motiven des Stücks, nicht einfach nur aus den Harmonien. Das war Monks eigene Improvisations-Strategie – und man spürt deren befreiendes Echo bei Laurent immer wieder. Eine souveräne Frische in der Erfindungskraft, als sei Jazz etwas ganz Neues und voll ungewisser Zukunft. Eine Frische, die auch ihre großartig unangepasste Band inspiriert hat.

2011, 2012 Hans-Jürgen Schaal


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