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Der Name kommt aus dem Persischen: „Se Tar“ bedeutet „drei Saiten“ – so elementar fing es an. Die indische Sitar (Hindi, eigentlich: der Sitâr) entstand als Kreuzung aus dem persischen Lauteninstrument und der indischen Vina. Der legendäre Musiker Amir Khusru soll die Sitar um 1300 erfunden haben, heißt es. Wahrscheinlicher aber ist, dass es ein Namensvetter von ihm war – erst rund 400 Jahre später.

Instrumente der Welt: Sitar
Die Mutter der Weltmusik
(2013)

Von Hans-Jürgen Schaal

In den 1970er Jahren waren Sitarkonzerte in der westlichen Welt groß in Mode. Auch wer nicht an die heilenden, ayurvedischen Kräfte der Sitar glaubte, wurde von diesem Instrument unweigerlich fasziniert: von dem mächtigen birnenförmigen Flaschenkürbis, seiner verzierten Decke aus Teak- oder Rot-Zeder-Holz, dem langen, hohlen Hals mit seinen verschiebbaren Messingbünden, der oben befestigten Resonanzschale („Tumba“) und den scheinbar unendlich vielen Stimmschrauben. Bis zu 21 Saiten hat eine Sitar, jedoch dienen nur vier dem Melodiespiel, in manchen Stücken werden sogar nur eine oder zwei davon verwendet. Dazu kommen zwei bis drei en passant gespielte Bordunsaiten. Die meisten der Sitarsaiten aber liegen unterhalb der Bundstäbe, dienen nur der Resonanz und verstärken obertonreich jenen Klang, der das Allerfaszinierendste an der Sitar ist: ein singender, schwirrender, silbriger, oft als psychedelisch und elektrisch empfundener Sound. Hauptverantwortlich für diesen typischen Sitarklang ist der gekrümmte Steg („Jovari“) in der Mitte der Kürbisdecke, meist aus Horn oder Knochen gefertigt. Auf ihm liegen die weichen Saiten nämlich nur locker auf und können daher weit ausschwingen.

Der Mann, der die Sitar im Westen populär machte, hieß Ravi Shankar (1920-2012). Er war bereits musikalischer Leiter von All India Radio in Neu-Delhi, als er 1956 entdeckte, dass Europäer und Amerikaner eine Schwäche für Sitarklänge haben. Daraufhin begann er im Westen eigenhändig Sitar-Platten einzuspielen, konzertierte mit klassischen und Jazzmusikern, gründete eine indische Musikschule in Kalifornien, schrieb Konzerte für Sitar und Sinfonie-Orchester, trat sogar beim Woodstock-Festival auf. Shankar inspirierte nicht nur den modalen Jazz (John Coltrane verehrte ihn), auch Rockmusikern wie Brian Jones und George Harrison brachte er die Sitar nahe und trug damit viel zum Indien-Trend der Hippies bei. Shankar empfand die Zeit um 1966/67 als „The Great Sitar Explosion“. Damals wurden sogar Gitarrenmodelle entwickelt, die den modischen Sitarklang nachahmten. Es kursierten Schlagworte wie „Raga Rock“ und „Indo-Jazz“. Shankar wurde zum „Godfather of World Music“ (George Harrison), die Sitar zur Mutter der musikalischen Globalisierung.

In ihrem Heimatland symbolisiert die Sitar – meist begleitet von Tanpura und Tabla – die strenge nordindische Musiktradition. Der klassische Raga ist ihr angestammtes Tätigkeitsfeld. Was der Raga genau ist, lässt sich in unseren Worten kaum sagen. Wäre er nur eine Tonart oder Tonskala, gäbe es vielleicht 20 oder 50 verschiedene Ragas. Wäre der Raga eine Melodie oder Komposition, gäbe es vielleicht eine Million davon. Tatsächlich aber sind „nur“ einige tausend Ragas bekannt. Ravi Shankar hat in seinem mehr als 90-jährigen Leben lediglich etwa 30 Ragas – nein, nicht komponiert, sondern erfunden, entwickelt, vorgeführt. Man könnte es vielleicht so sagen: Ein Raga gibt vor, auf welche Weise (mit welchen Kniffs, Übergängen, Betonungen usw.) eine Tonskala aufsteigend und auf welche Weise sie absteigend gespielt werden soll und welche emotionale Haltung damit verbunden ist. Die spirituelle Komponente dieses angeleiteten Improvisierens kann eine Morgen- oder Frühlingsstimmung sein, aber auch Friedfertigkeit, Zorn, Humor oder Heroismus.

Als wichtigster Gegenspieler zum weltoffenen Ravi Shankar galt einst der große Vilayat Khan (1928-2004), ein strenger Sitarkünstler, der staatliche Auszeichnungen ablehnte, weil er die Preisverleiher für nicht kompetent hielt, und ganz auf die indische Musikkultur fixiert blieb. Indem er aber traditionelle Gesangstechniken auf sein Instrument übertrug, war auch Vilayat Khan ein wichtiger Innovator. Er und Ravi Shankar stehen außerdem für zwei verschiedene Bautypen des Instruments (Gandhaar vs. Kharaj). Ein Neffe des strengen Vilayat Khan ist übrigens Nishat Khan – heute einer der internationalen Crossover-Stars an der Sitar.

© 2013, 2023 Hans-Jürgen Schaal


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